Hl. Sebastian mit Engel
(1911)


Oskar Kokoschka (*1886, †1980)

Landessammlungen Niederösterreich

1911 begann sich Oskar Kokoschka mit Motiven der christlichen Ikonografie auseinanderzusetzen. Insgesamt entstanden zu dieser Zeit sechs Bilder mit christologischen Bezügen - Dürer und Rembrandt waren ihm dabei wichtige Vorbilder.
Der "Hl. Sebastian mit Engel" gehört wahrscheinlich zu den ersten dieses Genres, die Kokoschka in Wien schuf. In seinem malerischen Gestus wirkt es etwa gegenüber der Kreuzigung und der Verkündigung, beide ebenfalls 1911 entstanden, äußerst fragmentarisch. Zentriert auf die Figur des hl. Sebastians und den Engel, wird der Hintergrund nur vage angedeutet. Fast scheinen die Figuren zu schweben, nur durch den Baum, an den der hl. Sebastian gebunden ist, gibt es eine irdische "Verankerung". Kokoschkas Auseinandersetzung mit Elementen christlicher Ikonographie darf nicht nur als thematische oder formale Suche seines malerischen Wegs gesehen werden. Vielmehr ist durch sie der Versuch einer eigenen, personalen Identitätsfindung gegeben, ein Ausloten seiner geistigen Entwicklung - Selbsterfahrungsmöglichkeiten also, um einen künstlerischen Standort bestimmen zu können.
Der unmittelbare Anlass für Kokoschka, sich selbst als Märtyrer darzustellen, mag auf den Misserfolg seiner Ausstellung im Hagenbund im Februar 1911 zurückzuführen sein. Was konnte besser die Stimmung des tief "getroffenen", gekränkten Künstlers zum Ausdruck bringen als eine Selbstdarstellung, in der er sich zum "Pestheiligen" erhob, zum "Hl. Sebastian". Selbst von Pfeilen getroffen - war dieser nicht "umzubringen", hielt dieser an seinem Glauben, an seiner Wahrheit fest. Der Engel kann vorerst nur auf sein Leid verweisen, ihm aber nicht helfen. Erst im April 1912 sollte Kokoschka die Rettung zuteil werden und einem "himmlischen" Wesen, seiner "Windsbraut" Alma Mahler begegnen.
(Quelle: C. Aigner/W. Krug, in: Waldmüller bis Schiele, Meisterwerke aus dem NÖ Landesmuseum, 2002, S. 192)