Obermieder aus dem Poysdorfer Fund
(~1650)


Landessammlungen Niederösterreich

Das Obermieder bzw. "Leibstück" ist eines der wenigen noch erhaltenen Stücke des 1883 im Zuge von Umbauarbeiten entdeckten Fundes in Poysdorf (Brunngasse 38). Dieser ursprünglich sehr umfangreiche Fund umfasste Kleidung, Wäsche, Geschirr und Bücher eines Bürgerhaushalts des 17. Jahrhunderts. Der Fund wurde 1910 dem NÖ Landesmuseum als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt und 1931 schließlich von der NÖ Landesregierung erworben. Bedingt durch die Auslagerung im Zweiten Weltkrieg sind nur mehr wenige Stücke vorhanden.
Das Haus Brunngasse 38 gehörte zur Zeit des Fundes zur liechtensteinschen Grundherrschaft und wurde von der Familie Knoll bewohnt. Gesichert ist, dass der 1646 geborene Sohn Lambert Maximilian Knoll 1669 im Stift Klosterneuburg seine Gelübde ablegte und in Wien Philosophie und Theologie studierte. Seine Eltern waren Hans Knoll und Magdalena (Helene) Pründler. Ein Hans Knoll wird immer wieder als Marktrichter und Ratsbürger genannt, doch ist die Identität nicht gesichert. Die wertvollen Fundgobjekte belegen aber, dass die Familie mit Sicherheit zum gehobenen Bürgertum gehörte. Bürgerlicher Wohlstand äußerte sich nicht in farbigem Prunk, sondern in der Qualität des Materials. Die erhaltene Frauenkleidung (Mieder, Jacke, Haube) ist aufwändig aus Samt, Seide, feiner Wolle und Spitze gearbeitet. So besteht das Mieder aus schwarzem Seidensamt mit Seidenborte und weißem Leinenfutter, der Schößel ist aus Wolle.
Die für das Bürgertum typische Farbe Schwarz symbolisierte die bürgerlichen Werte Anstand, Mäßigkeit, Frömmigkeit und Würde in bewusstem Gegensatz zur Farbenfreude des Adels, Inbegriff von Müßiggang und Ausschweifung. Ursprünglich war Schwarz die Farbe der Protestanten, wurde aber auch nach der Rekatholisierung bevorzugt vom Bürgertum getragen. Das Schwarz des Mieders - wie auch einer Frauenjacke und eines verlorenen Mantels - sind daher zu dieser Zeit kein Zeichen für die Zugehörigkeit zum Protestantismus.
Es wird angenommen, dass es sich bei dem Fund um ein Versteck handelt. Die Streuung in der Datierung der Objekte in Verbindung mit den unruhigen Zeiten, die Poysdorf im 17. Jahrhundert erlebte, gilt als möglicher Hinweis auf eine Art Dauerversteck, das längere Zeit genutzt wurde (bis 1670?).
(Quelle: A. Bönsch/F. M. Eybl, Der Poysdorfer Fund, in: Adel im Wandel - Politik, Kultur, Konfession 1500-1700, Katalog des NÖ Landesmuseums, Neue Folge Nr. 251, 1990, S. 250ff.)