Helene Kottannerin


*~1400 bis †~1475

Die "Denkwürdigkeiten" der Helene Kottannerin

Die "Denkwürdigkeiten" sind in einer einzigen Papierhandschrift (ÖNB cod. 2920) aus der Mitte des 15. Jahrhunderts überliefert, die vermutlich eine von Helene Kottanner diktierte Niederschrift oder eine Abschrift nach einer Vorlage ist. Die Handschrift wurde erst im 19. Jahrhundert (1834) in der Hofbibliothek entdeckt. Erst 400 Jahre nach den Ereignissen konnten somit die Vorgänge um den Raub der ungarischen Stephanskrone geklärt werden, bis dahin war für dessen Gelingen keine wirklich befriedigende Erklärung gefunden worden.
Die "Denkwürdigkeiten" setzen mit ihrem Eintreffen im Frühjahr 1439 in Ungarn ein und berichtet sehr ausführlich über die Ereignisse nach dem Tod König Albrechts II., der in Ungarn unerwartet an der Ruhr starb (27.10.1439) und zwei Töchter und ein ungeborenes Kind hinterließ. Die Nachfolge in dem von ihm regierten Ländern, dem Herzogtum Österreich und den Königreichen Ungarn und Böhmen war somit ungeklärt. Als Erzieherin der Königskinder und Vertraute der Königinwitwe Elisabeth erlebte Helene Kottannerin die politischen Ereignisse aus nächster Nähe mit und schildert sie lebendig und voll von realistischen Einzelheiten. Sie berichtet aus der Sicht des Hofes, der den Standpunkt des Erbrechtes vertrat im Gegensatz zu der Mehrheit der ungarischen Adeligen, die für Mitbestimmung durch Wahl eintraten und den Polenkönig Wladislaw favorisierten. Stützen der Königin waren vor allem der mit ihr verwandte Graf Ulrich II. von Cilli sowie Ulrich von Eitzing - jene zwei Männer, die über ein Jahrzehnt später für die Regierung des jungen Ladislaus (1452-1457) eine entscheidende Rolle spielen sollten.
Erzählerisches Zentrum der "Denkwürdigkeiten" bildet der Kronenraub mit Hilfe eines ungarischen Adeligen, den die Kottannerin durch die Frauengemächer, vorbei an den schlafenden Hofdamen, zum Schatzgewölbe der Plintenburg führte, und die Fahrt mit der in einem Polster versteckten Krone im Schlitten nach Komorn. Wertvollen Aufschluss über weiblichen Alltag geben ihre Schilderung von der Geburt des erhofften Thronerben Ladislaus (Lasla), der Taufe, dem Wochenbett der Königin und der Betreuung des Neugeborenen, die ihr oblag. Während der Krönungsfeierlichkeiten in Stuhlweißenburg (15.5.) trug sie den drei Monate alten Ladislaus auf den Armen. Ihre Schilderung des Zeremoniells ist der älteste ausführliche Augenzeugenbericht einer ungarischen Krönung. Das Eintreffen König Wladislaws von Polen in Ungarn, der immer breitere Unterstützung fand, zwang die Parteigänger der Königin zur Flucht. Helene Kottanner begleitete Ladislaus in das unter dem Schutz Ulrichs von Cilli stehende Ödenburg. Mit ihrer dortigen Ankunft brechen die "Denkwürdigkeiten" ab, der überlieferte Text ist daher fragmentarisch. Verfasst wurde er vermutlich bald nach den Ereignissen.
Helene Kottanners lebensgefährlicher Einsatz für die Königsfamilie führte zunächst nicht zum erhofften politischen Erfolg. Wladislaw von Polen wurde mit einer Ersatzkrone gekrönt und die Säuglingskrönung für ungültig erklärt. Ladislaus wurde 1452 als König von Ungarn anerkannt, nachdem seine Entlassung aus der Vormundschaft Friedrichs III. von der österreichischen Ständeopposition unter Führung Graf Ulrichs von Cilli und Ulrichs von Eitzing sowie mit ungarischer und böhmischer Hilfe erzwungen worden war.
Druck: K. Mollay (Hg.), Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottanerin (1439-1140), Wiener Neudrucke 2, 1971.