Klosterneuburg


Gemeinde Klosterneuburg

Schleierlegende

Gründungssage des Stiftes Klosterneuburg nach Leander Petzoldt, Sagen aus Niederösterreich (1992):
"Markgraf Leopold von Österreich und seine Gemahlin Agnes standen am achten Tag nach ihrer Hochzeit auf dem Söller ihres Schlosses auf dem Leopoldsberg. Sie besprachen die Gründung eines Klosters und waren nur noch unentschieden über den Ort, an dem das Gebäude errichtet werden sollte. Mit einem Male erhob sich ein Windstoß, riss Agnes den Schleier vom Haupt und führte ihn hinweg. Die junge Markgräfin war sehr bestürzt über diesen wertvollen Verlust. Leopold eilte mit seinem Gefolge in den Wald, wohin der Wind den Schleier getragen hatte, aber sie konnten ihn nicht finden. Schließlich kam er in Vergessenheit, ebenso auch die damals besprochene Klostergründung, obgleich der Markgraf seiner Gemahlin gelobt hatte, dort ein Kloster zu gründen, wo sich der Schleier findet. Acht Jahre waren vergangen, als Leopold wieder einmal im Wald jagte. Da schlugen mit einem Male die Hunde laut an, und als der Markgraf hinzukam, fand er an einem Holunderstrauch den Schleier hängen; ein Wunder hatte ihn all die Jahre unversehrt bewahrt. Dies bewog den Markgrafen, sogleich sein Gelübde zu erfüllen. Und so erhob sich der Sage nach an dieser Stelle das Stift Klosterneuburg."
Die Sage ist erstmals 1371 überliefert und inspirierte unzählige Künstler,
doch Historizität kann sie nicht beanspruchen. Die Burg auf dem Kahlenberg wurde erst im 13. Jahrhundert erbaut, und dort, wo das Stift steht, gab es keine Gelegenheit zur Jagd, denn hier befanden sich noch die Mauern eines römischen Kastells, die bewohnt waren. Es gibt allerdings zwei historische Objekte, auf denen die Legende aufbaut. Der siebenarmige Bronzeleuchter aus der Bauzeit der Kirche - das älteste erhaltene Stück der Einrichtung - wurde im Mittelalter "Holunderbaum" (sambucus) genannt. In seinem früheren Holzkern wollte man den historischen Baumstamm sehen. Das zweite Objekt ist der Schleier, den man der Markgräfin Agnes zuschrieb. Das feine, zweiteilige Seidengewebe mit aus Goldfäden geflochtener Spitze stammte vermutlich aus ihrer Zeit. Im 15. Jahrhundert dürfte der Stoff als Reliquie der Gottesmutter gegolten haben.
Älteste schriftliche Überlieferung der Schleierlegende aus dem 14. Jahrhundert (Chronicon pii marchionis, Stift Klosterneuburg, Übersetzung: H. Dienst):
"Leopold Markgraf von Österreich seligen Angedenkens, regierte fromm, gerecht und mit allen guten Eigenschaften eines tüchtigen Herrschers; deshalb schenkte ihm der allmächtige Gott eine gleichgesinnte Ehefrau, Agnes, die Tochter Kaiser Heinrichs IV. So wie sie ein Fleisch geworden waren, suchten sie einmütig den Willen Gottes zu erfüllen: Sie beschlossen, zur Ehre Gottes und zu ihrem Seelenheil eine Kirche zu errichten und auszustatten und wünschten sich durch ein göttliches Zeichen den Ort kennenzulernen, der Gott für die Errichtung einer Kirche gefällig war. Da erhob sich bei ruhigem und freundlichem Wetter ein starker Wind und entführte mit einem heftigen Stoß den Schleier vom Haupte der Agnes in weite Ferne. Neun Jahre vergingen, da fand der Markgraf auf der Jagd den damals seiner Frau vom Kopf gerissenen Schleier vollständig unversehrt auf einem Strauch (nach einem späteren Zusatz: Hollerstrauch). Das, so war er sicher, war der durch ein göttliches Zeichen bestimmte Platz für die Kirchengründung, und er ließ ihn für einen Kirchenbau herrichten. Hier steht heute die Kirche von Klosterneuburg, in der Regularkanoniker den Gottesdienst versehen."
(Quelle: H. Dienst, Agnes: Herzogin, Markgräfin, Landesmutter, in: Der heilige Leopold - Landesfürst und Staatssymbol, Katalog des NÖ Landesmuseums, Neue Folge Nr. 155, 1985, S. 20-25, bes. 24f.)