Ortsgeschichte
Wiener Neustadt, Hauptstadt des Viertels unter dem Wienerwald, verdankt seine Entstehung den Babenbergerherzögen Leopold V. und Leopold VI. 1194 beschloss Leopold V., im Steinfeld - damals Teil des Herzogtums Steiermark - eine befestigte Stadt zum Schutz der dortigen Handelsstraße gegen Einfälle aus dem Osten zu errichten. Er starb nur wenig später, daher realisierte sein Sohn diesen Plan und gilt als eigentlicher Gründer. Die Nova civitatis oder Neustatt - der Name „Wiener Neustadt" bzw. „Wienerische Neustadt" kam erst im 17. Jahrhundert auf - ist die größte Gründungsstadt Niederösterreichs und wurde aus dem Lösegeld für den englischen König Richard Löwenherz finanziert.
Die großzügige Privilegierung durch die Landesfürsten schufen die Basis für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt. Mitte des 13. Jahrhunderts entstand an der Südostecke die Burg, 1279 wurde die spätromanische Pfarrkirche geweiht. Die Stadt wurde Sitz zahlreicher Orden, darunter die Dominikaner, die Minoriten und der Deutsche Orden, sowie einer großen Judengemeinde (Zentrum auf dem heutigen Allerheiligenplatz) mit einer weit über die Landesgrenzen berühmten Talmudschule. Ein Meisterwerk der gotischen Architektur ist die „Spinnerin am Kreuz", eine in den 80er-Jahren des 14. Jahrhunderts errichtete steinerne Wegsäule vor dem nördlichen Stadttor.
Einen Höhepunkt erlebte Wiener Neustadt unter Kaiser Friedrich III. (1440-1493) als kaiserliche Residenzstadt. Die Anwesenheit des Hofes und der politischen Prominenz führte zu lebhafter Bautätigkeit. Friedrich III. stiftete zwei Chorherrenstifte und veranlasste die Niederlassung weiterer Orden wie der Zisterzienser (Neukloster), der Pauliner-Eremiten und des St. Georg-Ritterordens, dessen Sitz 1479 von Millstatt nach Wiener Neustadt verlegt wurde. 1469 gestattete der Papst die Errichtung eines - wenn auch kleinen - Bistums. Die Stadt, die Friedrich die „Allzeit Getreue" nannte, erhielt vom Kaiser das Recht, den Doppeladler zu führen (1452), sowie zur Förderung des Handels ein Niederlagsprivileg (1448), das die Kaufleute zwang, ihre Waren in der Stadt anzubieten. Die Einnahmen sollten zur Wiedergutmachung der durch den Brand von 1433 entstandenen Schäden beitragen. In den Auseinandersetzungen des Kaisers mit den Ständen des Herzogtums Österreich wegen der Vormundschaft über König Ladislaus kam es Ende August 1452 zur Belagerung von Wiener Neustadt, die Friedrich III. zwang, Ladislaus aus der Vormundschaft zu entlassen. Gegen Ende seiner Regierungszeit musste die gut befestigte Stadt nach einer fast 17 Monate dauernden Belagerung durch die Ungarn schließlich kapitulieren und dem ungarischen König Matthias Corvinus 1487 die Tore öffnen. Der so genannte „Corvinusbecher", ein reich verzierter Prunkpokal, erinnert bis heute an diese Zeit. Drei Jahre später eroberte Friedrichs Sohn Maximilian I. die Stadt zurück.
Wenige Jahre nach dem Tod Friedrichs III. (1493), der eine judenfreundliche Politik verfolgt hatte, wurde die große und für ihre Gelehrten weithin berühmte jüdische Gemeinde aufgelöst. 1496 ordnete Maximilian I. die Ausweisung aller Juden in der Steiermark, in Wiener Neustadt und Neunkirchen an. Die letzten Juden verließen im Jahr 1500 ihre Heimatstadt, aus der Synagoge wurde eine Allerheiligenkapelle. 1519 wurde Maximilian in seiner Geburtsstadt unter dem Hochaltar der St.-Georgs-Kapelle beigesetzt. Sein prunkvolles Grabmal, die Schwarzen Mannder, verblieben allerdings entgegen seinem Wunsch in Innsbruck. Unter seinem Enkel uind Nachfolger Ferdinand I. wurde Wiener Neustadt 1522 Schauplatz des Prozesses gegen die führenden Mitglieder der Ständeopposition, der mit neun Todesurteilen endete und als „Wiener Neustädter Blutgericht" in die Geschichte einging.
Im 16. Jahrhundert verlor die Stadt, nur mehr selten Fürstenresidenz, an Bedeutung. Bedingt durch ihre Grenzlage, hatte sie bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts unter den Einfällen der Osmanen und später der Kuruzzen zu leiden, doch konnte die stark befestigte Stadt nie eingenommen werden. Die Reformation erreichte um 1570/1580 in Wiener Neustadt ihren Höhepunkt, wurde aber nach der Einsetzung des Gegenreformators Melchior Klesl als Administrator des Bistums (1588) in kürzester Zeit rekatholisiert. Die Barockzeit war gekennzeichnet von einer Reihe von Klostergründungen, wie der Kapuziner, der Karmeliten und Karmelitinnen, der Gründung des Jesuitenkollegs mit Gymnasium (1666) und der Jesuitenresidenz in der Vorstadt (1743). In dieser Zeit wurde Wiener Neustadt wieder Schauplatz einer im In- und Ausland Aufsehen erregenden Hinrichtung: 1671 wurden zwei prominente Teilnehmer der „Magnatenverschwörung", Peter Graf Zrinyi und Franz Frangepan, im Hof des Zeughauses enthauptet.
Von größter Bedeutung für die Stadt wurde die 1752 von Maria Theresia als Kadettenschule gegründete „Theresianische Militärakademie" in der kaiserlichen Burg. Unter ihrem Sohn Joseph II. fanden einige für die Entwicklung Wiener Neustadts bedeutsame Veränderungen statt: 1785 wurde das Bistum nach St. Pölten verlegt, schon einige Jahre zuvor waren alle Klöster mit Ausnahme des Stifts Neukloster aufgehoben worden. In den frei gewordenen Räumlichkeiten entstanden in der Folgezeit Manufakturen. Wiener Neustadt entwickelte sich zum industriellen Zentrum des südöstlichen Niederösterreich, wobei die Schwerindustrie dominierte. Angesichts ihrer wirtschaftlichen Bedeutung erhielt die Stadt mit Gesetz vom 8. August 1866 ein Gemeindestatut und damit das Recht der Landesunmittelbarkeit verliehen.
Die 1842 von Wenzel Günther gegründete Lokomotivfabrik, die 1899 etablierten Daimler-Werke, an deren Spitze von 1906 bis 1923 der berühmte Konstrukteur Ferdinand Porsche stand und dem Begriff „Austro-Daimler" Weltgeltung verschaffte, sowie das 1909 angelegte erste österreichische Flugfeld machten Wiener Neustadt zu einer der bedeutendsten Industriestädte der Monarchie und zum Zentrum der Luftfahrt. Die Schließung dieser Betriebe in der Weltwirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit hinterließ tausende Arbeitslose. Unter der NS-Herrschaft wurde die Stadt Zentrum der Rüstungsproduktion. Die Flugzeugwerke lieferten 1940 ein Viertel der Gesamtproduktion der Me-109-Jagdflugzeuge (Messerschmitt-Jägerwerke), in der ehemaligen Lokomotivfabrik etablierten sich die „Rax-Werke", die Lokomotiventender und ab 1943 A-4-Raketen bauten. Durch die Konzentration kriegswichtiger Industrie wurde Wiener Neustadt in den Jahren 1943 bis 1945 zum Ziel von insgesamt 29 Luftangriffen und mehr als 50.000 Bomben. Die Stadt wurde fast völlig zerstört, etwa 1000 Menschen starben, nicht einmal 20 der 4000 Häuser blieben unversehrt (Material zur Zeitgeschichte unter: www.zeitgeschichte-wn.at).
Während der Besatzungszeit bemühte sich der langjährige Bürgermeister Rudolf Wehrl (1945-1965) um den Wiederaufbau, der 1955 zum größten Teil abgeschlossen war. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde Wiener Neustadt wieder zum wirtschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt des südöstlichen Niederösterreich.